PROLOG IM HIMMEL '7 265 PROLOG IM HIMMEL Der Herr. Die himmlischen Heerscharen. Nachher Mephistopheles. Die drei Erzengel treten vor. Raphael. Die Sonne tönt nach alter Weise In Brudersphären Wettgesang, 5 Und ihre vorgeschriebne Reise Vollendet sie mit Donnergang. Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke, Wenn keiner sie ergründen mag; Die unbegreiflich hohen Werke 5 Sind herrlich wie am ersten Tag. Gabriel. Und schnell und unbegreiflich schnelle Dreht sich umher der Erde Pracht; Es wechselt Paradieseshelle Mit tiefer, schauervoller Nacht; Es schäumt das Meer in breiten Flüssen Am tiefen Grund der Felsen auf, Und Fels und Meer wird fortgerissen In ewig schnellem Sphärenlauf. Michael. Und Stürme brausen um die Wette, Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer, Und bilden wütend eine Kette Der tiefsten Wirkung rings umher. Da flammt ein blitzendes Verheeren Dem Pfade vor des Donnerschlags; Doch deine Boten, Herr, verehren Das sanfte Wandeln deines Tags. Zu drei. Der Anblick gibt den Engeln Stärke, Da keiner dich ergründen mag, Und alle deine hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag. Mephistopheles. Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst Und fragst, wie alles sich bei uns befinde, Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst, So siehst du mich auch unter dem Gesinde. Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen, 285 Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt; Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen, Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt. Von Sonn' und Welten weiß ich nichts zu sagen, Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen. 280 Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag, Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. Ein wenig besser würd' er leben, Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben; Er nennt's Vernunft und braucht's allein, Nur tierischer als jedes Tier zu sein. Er scheint mir, mit Verlaub von Euer Gnaden, Wie eine der langbeinigen Zikaden, Die immer fliegt und fliegend springt Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt; Und lag' er nur noch immer in dem Grase! In jeden Quark begräbt er seine Nase. Der Herr. Hast du mir weiter nichts zu sagen? Kommst du nur immer anzuklagen? Ist auf der Erde ewig dir nichts recht ? Mephistopheles. Nein, Herr! ich find' es dort, wie immer, herzlich schlecht. Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen, Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen. Der Herr. Kennst du den Faust? Mephistopheles. Den Doktor? Der Herr. Meinen Knecht 1 Mephistopheles. Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise. Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise. Ihn treibt die Gärung in die Ferne, Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt; Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne Und von der Erde jede höchste Lust, Und alle Näh' und alle Ferne Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust. Der Herr. Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient, So werd' ich ihn bald in die Klarheit führen. 300 3°S l8 FAUST 310 Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, Daß Blut' und Frucht die künft'gen Jahre zieren. Mephisto pheles. Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren, Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt, Ihn meine Straße sacht zu führen! 315 Der Herr. Solang' er auf der Erde lebt, Solange sei dir's nicht verboten. Es irrt der Mensch, solang' er strebt. Mephisto pheles. Da dank' ich Euch; denn mit den Toten Hab' ich mich niemals gern befangen. 320 Am meisten lieb' ich mir die vollen, frischen Wangen. Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus; Mir geht es wie der Katze mit der Maus. Der Herr. Nun gut, es sei dir überlassen! Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab, 3M Und führ' ihn, kannst du ihn erfassen, Auf deinem Wege mit herab, Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt: Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewußt. Mephistopheles. 33° Schon gut! nur dauert es nicht lange. Mir ist für meine Wette gar nicht bange. Wenn ich zu meinem Zweck gelange, Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust. Staub soll er fressen, und mit Lust, 335 Wie meine Muhme, die berühmte Schlange. Der Herr. Du darfst auch da nur frei erscheinen; Ich habe deinesgleichen nie gehaßt. Von allen Geistern, die verneinen, Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last. 340 Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen, Er hebt sich bald die unbedingte Ruh; Drum geb' ich gern ihm den Gesellen zu, Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen. - Doch ihr, die echten Göttersöhne, 345 Erfreut euch der lebendig reichen Schöne! PROLOG IM HIMMEL Das Werdende, das ewig wirkt und lebt, Umfass' euch mit der Liebe holden Schranken, Und was in schwankender Erscheinung schwebt, Befestiget mit dauernden Gedanken. Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich. Mephistopheles allein. Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern, Und hüte mich, mit ihm zu brechen. Es ist gar hübsch von einem großen Herrn, So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen. 54 FAUST • ERSTER TEIL STUDIERZIMMER 55 Mephistopheles. Und doch hat jemand einen braunen Saft, ■58° In jener Nacht, nicht ausgetrunken. Faust. Das Spionieren, scheint's, ist deine Lust. Meph. Allwissend bin ich nicht; doch vielist mir bewußt. Faust. Wenn aus dem schrecklichen Gewühle Ein süß bekannter Ton mich zog, 1585 Den Rest von kindlichem Gefühle Mit Anklang froher Zeit betrog, So fluch' ich allem, was die Seele Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt, Und sie in diese Trauerhöhle 1590 Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt! Verflucht voraus die hohe Meinung, Womit der Geist sich selbst umfängt! Verflucht das Blenden der Erscheinung, Die sich an unsre Sinne drängt! 1595 Verflucht, was uns in Träumen heuchelt, Des Ruhms, der Namensdauer Trug! Verflucht, was als Besitz uns schmeichelt, Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug! Verflucht sei Mammon, wenn mit Schätzen 1600 Er uns zu kühnen Taten regt, Wenn er zu müßigem Ergetzen Die Polster uns zurechtelegt! Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben! Fluch jener höchsten Liebeshuld! ifos Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben, Und Fluch vor allen der Geduld! Geisterchor unsichtbar. Weh! weh! Du hast sie zerstört, Die schöne Welt, Mit mächtiger Faust; Sie stürzt, sie zerfällt! Ein Halbgott hat sie zerschlagen! Wir tragen Die Trümmern ins Nichts hinüber, ""> Und klagen Uber die verlorne Schöne. 1610 Mächtiger Der Erdensöhne, Prächtiger Baue sie wieder, In deinem Busen baue sie auf! Neuen Lebenslauf Beginne, Mit hellem Sinne, Und neue Lieder Tönen darauf! 1625 1630 Mephistopheles. Dies sind die Kleinen Von den Meinen. Höre, wie zu Lust und Taten Altklug sie raten! In die Welt weit, Aus der Einsamkeit, Wo Sinnen und Säfte stocken, Wollen sie dich locken. Hör auf, mit deinem Gram zu spielen, Der, wie ein Geier, dir am Leben frißt; Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen, Daß du ein Mensch mit Menschen bist. Doch so ist's nicht gemeint, Dich unter das Pack zu stoßen. Ich bin keiner von den Großen; Doch willst du mit mir vereint Deine Schritte durchs Leben nehmen, So will ich mich gern bequemen, Dein zu sein, auf der Stelle. Ich bin dein Geselle, Und mach' ich dir's recht, Bin ich dein Diener, bin dein Knecht! Faust. Und was soll ich dagegen dir erfüllen? Mephistopheles. Dazu hast du noch eine lange Frist. 165° Faust. Nein, nein! der Teufel ist ein Egoist Und tut nicht leicht um Gottes willen, Was einem andern nützlich ist. 163s 1640 164s 56 FAUST • ERSTER TEIL STUDIERZIMMER 57 Sprich die Bedingung deutlich aus; l6ss Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus. Meph. Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; Wenn wir uns drüben wiederfinden, So sollst du mir das gleiche tun. i66oFaust. Das Drüben kann mich wenig kümmern; Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern, Die andre mag darnach entstehn. Aus dieser Erde quillen meine Freuden, Und diese Sonne scheinet meinen Leiden; i6«s Kann ich mich erst von ihnen scheiden, Dann mag, was will und kann, geschehn. Davon will ich nichts weiter hören, Ob man auch künftig haßt und liebt, Und ob es auch in jenen Sphären 1670 Ein Oben oder Unten gibt. Mephistopheles. In diesem Sinne kannst du's wagen. Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen, Mit Freuden meine Künste sehn, Ich gebe dir, was noch kein Mensch gesehn. 67sFaust. Was willst du armer Teufel geben? Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben, Von deinesgleichen je gefaßt? Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast Du rotes Gold, das ohne Rast, 6S° Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt, Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt, Ein Mädchen, das an meiner Brust Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet, Der Ehre schöne Götterlust, «8s Die, wie ein Meteor, verschwindet? Zeig mir die Frucht, die fault, eh' man sie bricht, Und Bäume, die sich täglich neu begrünen! Mephistopheles. Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht, Mit solchen Schätzen kann ich dienen. 690 Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran, Wo wir was Guts in Ruhe schmausen mögen. Faust. Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, So sei es gleich um mich getan! Kannst du mich schmeichelnd je belügen, Daß ich mir selbst gefallen mag, l6's Kannst du mich mit Genuß betrügen, Das sei für mich der letzte Tag! Die Wette biet' ich! Mephistopheles. Topp! Faust. Und Schlag auf Schlag! Werd' ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! '700 Dann magst du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zugrunde gehn! Dann mag die Totenglocke schallen, Dann bist du deines Dienstes frei, Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen, '7°s Es sei die Zeit für mich vorbei! Meph. Bedenk es wohl, wir werden's nicht vergessen. Faust. Dazu hast du ein volles Recht; Ich habe mich nicht freventlich vermessen. Wie ich beharre, bin ich Knecht, '7'° Ob dein, was frag' ich, oder wessen. Meph. Ich werde heute gleich, beim Doktorschmaus, Als Diener, meine Pflicht erfüllen. Nur eins! - Um Lebens oder Sterbens willen Bitt' ich mir ein paar Zeilen aus. Faust. Auch was Geschriebnes forderst du Pedant ? Hast du noch keinen Mann, nicht Manneswort gekannt ? Ist's nicht genug, daß mein gesprochnes Wort Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten ? Rast nicht die Welt in allen Strömen fort, '72 Und mich soll ein Versprechen halten ? Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt, Wer mag sich gern davon befreien ? Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt, Kein Opfer wird ihn je gereuen! Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt, Ist ein Gespenst, vor dem sich alle scheuen. Das Wort erstirbt schon in der Feder, 172 5» FAUST ■ ERSTER TEIL Die Herrschaft führen Wachs und Leder. ■73° Was willst du böser Geist von mir? Erz, Marmor, Pergament, Papier? Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben? Ich gebe jede Wahl dir frei. Mephistopheles. Wie magst du deine Rednerei ■735 Nur gleich so hitzig übertreiben? Ist doch ein jedes Blättchen gut. Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut. Faust. Wenn dies dir völlig G'nüge tut, So mag es bei der Fratze bleiben. ■74°Mephistopheles. Blut ist ein ganz besondrer Saft. Faust. Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche! Das Streben meiner ganzen Kraft Ist grade das, was ich verspreche. Ich habe mich zu hoch gebläht, ■74S In deinen Rang gehör' ich nur. Der große Geist hat mich verschmäht, Vor mir verschließt sich die Natur. Des Denkens Faden ist zerrissen, Mir ekelt lange vor allem Wissen. ■75° Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit Uns glühende Leidenschaften stillen! In undurchdrungnen Zauberhüllen Sei jedes Wunder gleich bereit! Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit, ■755 Ins Rollen der Begebenheit! Da mag denn Schmerz und Genuß, Gelingen und Verdruß Mit einander wechseln, wie es kann; Nur rastlos betätigt sich der Mann. ■7«° Mephistopheles. Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt. Beliebt's Euch, überall zu naschen, Im Fliehen etwas zu erhaschen, Bekomm' Euch wohl, was Euch ergetzt. Nur greift mir zu und seid nicht blöde! ■7«! Faust. Du hörest ja, von Freud' ist nicht die Rede. Dem Taumel weih' ich mich, dem schmerzlichsten Genuß, Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß. STUDIERZIMMER 59 1770 1780 Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist, Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen, Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, Will ich in meinem innern Selbst genießen, Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen, Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen, Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern, Und, wie sie selbst, am End' auch ich zerscheitern. Mephistopheles. O glaube mir, der manche tausend Jahre An dieser harten Speise kaut, Daß von der Wiege bis zur Bahre Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut! Glaub unsereinem: dieses Ganze Ist nur für einen Gott gemacht! Er findet sich in einem ew'gen Glänze, Uns hat er in die Finsternis gebracht, Und euch taugt einzig Tag und Nacht. Faust. Allein ich will! Mephistopheles. Das läßt sich hören! Doch nur vor einem ist mir bang: Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang. Ich dächt', Ihr ließet Euch belehren. Assoziiert Euch mit einem Poeten, Laßt den Herrn in Gedanken schweifen, Und alle edlen Qualitäten Auf Euren Ehrenscheitel häufen, Des Löwen Mut, Des Hirsches Schnelligkeit, Des Italieners feurig Blut, Des.Nordens Dau'rbarkeit. Laßt ihn Euch das Geheimnis finden, Großmut und Arglist zu verbinden, Und Euch, mit warmen Jugendtrieben, Nach einem Plane zu verlieben. Möchte selbst solch einen Herren kennen, Würd' ihn Herrn Mikrokosmus nennen. Faust. Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist, Der Menschheit Krone zu erringen, Nach der sich alle Sinne dringen? l8°' 178s 1790 1800 MePHISTOPHELES. vuiuu: v v*» •>"-*• KERKER Faust mit einem Bund Schlüsse] und einer Lampe, vor einem eisernenTürchen. Mich faßt ein längst entwöhnter Schauer, 440s Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an. Hier wohnt sie, hinter dieser feuchten Mauer, Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn 1 Du zauderst, zu ihr zu gehen! Du fürchtest, sie wiederzusehen! 44"° Fort! Dein Zagen zögert den Tod heran. Er ergreift das Schloß. Es singt inwendig: Meine Mutter, die Hur', Die mich umgebracht hat! Mein Vater, der Schelm, Der mich gessen hat! 44>s Mein Schwesterlein klein Hub auf die Bein', An einem kühlen Ort; Da ward ich ein schönes Waldvögelein; Fliege fort, fliege fort! 44M Faust aufschließend. Sie ahnet nicht, daß der Geliebte lauscht, Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht. Er tritt ein. margarete sich auf dem Lager verbergend. Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod! Faust leise. Still! Still! ich komme, dich zu befreien. margarete sich vor ihn hinwälzend. Bist du ein Mensch, so fühle meine Not. 4425 140 FAUST • ERSTER TEIL I Faust. Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien! Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen. Margarete auf den Knieen. Wer hat dir, Henker, diese Macht Über mich gegeben! Du holst mich schon um Mitternacht. ° Erbarme dich und laß mich leben! Ist's morgen früh nicht zeitig genung? Sie steht auf. jung! Bin ich doch noch so jung Und soll schon sterben! Schön war ich auch, und das war mein Verderben. 4435 Nah war der Freund, nun ist er weit; Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut. Fasse mich nicht so gewaltsam an! Schone mich! Was hab' ich dir getan ? Laß mich nicht vergebens flehen, 4440 Hab' ich dich doch mein Tage nicht gesehen! Faust. Werd' ich den Jammer überstehen! Margarete. Ich bin nun ganz in deiner Macht. Laß mich nur erst das Kind noch tränken. Ich herzt' es diese ganze Nacht; 4445 Sie nahmen mir's, um mich zu kränken, Und sagen nun, ich hätt' es umgebracht. Und niemals werd' ich wieder froh. Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten! Ein altes Märchen endigt so, w Wer heißt sie's deuten? Faust wirft sich nieder. Ein Liebender liegt dir zu Füßen, Die Jammerknechtschaft aufzuschließen. Margarete wirft sich zu ihm. O laß uns knien, die Heil'gen anzurufen! Sieh! unter diesen Stufen, 44ss Unter der Schwelle Siedet die Hölle! Der Böse, Mit furchtbarem Grimme, Macht ein Getöse! h'' l'Ausr laut. Gretchen! Gretchen I 141 Margarete aufmerksam. Das war des Freundes Stimme! Sie springt auf. Die Ketten fallen ab. Wo ist er? Ich hab' ihn lufen hören. Ich bin frei! Mir soll niemand wehren. An seinen Hals will ich fliegen, An seinem Busen liegen! Er rief: Gretchen! Er stand auf der Schwelle. Mitten durchs Heulen und Klappen der Hölle, Durch den grimmigen, teuflischen Hohn Erkannt' ich den süßen, den liebenden Ton. Faust. Ich bin's! Margarete. Du bist's! O sag' es noch einmal! Ihn fassend. Er ist's! Er ist's! Wohin ist alle Qual? Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten? Du bist's! Kommst, mich zu retten! Ich bin gerettet 1 - Schon ist die Straße wieder da, Auf der ich dich zum ersten Male sah. Und der heitere Garten, Wo ich und Marth e deiner warten. Faust fortstrebend. Komm mit! Komm mit! Margarete. O weile! Weil' ich doch so gern, wo du weilest. Liebkosend. Faust. Eile! Wenn du nicht eilest, Werden wir's teuer büßen müssen. Margarete. Wie? du kannst nicht mehr küssen? Mein Freund, so kurz von mir entfernt, Und hast 's Küssen verlernt? Warum wird mir an deinem Halse so bang ? Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken Ein ganzer Himmel mich überdrang, Und du mich küßtest, als wolltest du mich ersticken. Küsse mich! Sonst küss' ich dich! Sie umfaßt ihn. 446s 4470 4475 4480 4485 142 FAUST • ERSTER TEIL KERKER 143 O weh! deine Lippen sind kalt, Sind stumm. 4495 Wo ist dein Lieben Geblieben ? Wer brachte mich drum ? Sie wendet sich von ihm. Faust. Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Mut! Ich herze dich mit tausendfacher Glut; 4S°° Nur folge mir! Ich bitte dich nur dies! Margarete zu ihm gewendet. Und bist du's denn ? Und bist du's auch gewiß ? Faust. Ich bin's! Komm mit! Margarete. Du machst die Fesseln los, Nimmst wieder mich in deinen Schoß. Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? -4505 Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist? Faust. Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht. Margarete. Meine Mutter hab' ich umgebracht, Mein Kind hab' ich ertränkt. War es nicht dir und mir geschenkt? 4si° Dir auch. - Du bist's! ich glaub' es kaum. Gib deine Hand! Es ist kein Traum! Deine liebe Hand! - Ach aber sie ist feucht! Wische sie ab! Wie mich deucht, Ist Blut dran. 4515 Ach Gott! was hast du getan! Stecke den Degen ein, Ich bitte dich drum! Faust. Laß das Vergangne vergangen sein, Du bringst mich um. 4s*°Margarete. Nein, du mußt übrigbleiben! Ich will dir die Gräber beschreiben. Für die mußt du sorgen Gleich morgen; Der Mutter den besten Platz geben, 45M Meinen Bruder sogleich darneben, Mich ein wenig beiseit', Nur nicht gar zu weit! Und das Kleine mir an die rechte Brust. 4530 4535 4540 Niemand wird sonst bei mir liegen! Mich an deine Seite zu schmiegen, Das war ein süßes, ein holdes Glück! Aber es will mir nicht mehr gelingen; Mir ist's, als müßt' ich mich zu dir zwingen, Als stießest du mich von dir zurück; Und doch bist du's und blickst so gut, so fromm. Faust. Fühlst du, daß ich es bin, so komm! Margarete. Dahinaus ? Faust. Ins Freie. Margarete. Ist das Grab drauß, Lauert der Tod, so komm! Von hier ins ewige Ruhebett Und weiter keinen Schritt - Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt' ich mitl Faust. Du kannst! So wolle nur! Die Tür steht offen. Margarete. Ich darf nicht fort; für michist nichts zu hoffen. Was hilft es fliehn ? Sie lauern doch mir auf. 4545 Es ist so elend, betteln zu müssen, Und noch dazu mit bösem Gewissen! Es ist so elend, in der Fremde schweifen, Und sie werden mich doch ergreifen! Faust. Ich bleibe bei dir. 45 s° Margarete. Geschwind! Geschwind! Rette dein armes Kind. Fort! Immer den Weg Am Bach hinauf, Über den Steg, 4SS5 In den Wald hinein, Links, wo die Planke steht, Im Teich. Faß es nur gleich! Es will sich heben, 4560 Es zappelt noch! Rette! rette! Faust. Besinne dich doch! Nur einen Schritt, so bist du frei! Margarete. Wären wir nur den Berg vorbei! 4s«s Da sitzt meine Mutter auf einem Stein, 144 FAUST • ERSTER TEIL Es faßt mich kalt beim Schöpfe! Da sitzt meine Mutter auf einem Stein Und wackelt mit dem Kopfe; 4s7° Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer, Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr. Sie schlief, damit wir uns freuten. Es waren glückliche Zeiten! Faust. Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen, 4S7S So wag' ich's, dich hinweg zu tragen. Margarete. Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt! Fasse mich nicht so mörderisch an! Sonst hab' ich dir ja alles zu Lieb' getan. Faust. Der Tag graut! Liebchen! Liebchen! Margarete. 4580 Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein; Mein Hochzeittag sollt' es sein! Sag niemand, daß du schon bei Gretchen warst. Weh meinem Kranze! Es ist eben geschehn! 458s Wir werden uns wiedersehn; Aber nicht beim Tanze. Die Menge drängt sich, man hört sie nicht. Der Platz, die Gassen Können sie nicht fassen. 459° Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht. Wie sie mich binden und packen! Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt. Schon zuckt nach jedem Nacken Die Schärfe, die nach meinem zückt. 4595 Stumm liegt die Welt wie das Grab! Faust. O war' ich nie geboren! Mephistopheles erscheint draußen. Auf! oder ihr seid verloren. Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern! Meine Pferde schaudern, 46oo Der Morgen dämmert auf. Margarete. Was steigt aus dem Boden herauf? Der! der! Schick' ihn fort! Was will der an dem heiligen Ort ? Er will mich! ■ Fau KERKER 145 Faust. Du sollst leben! Margarete. Gericht Gottes! dir hab' ich mich übergeben! 4«°5 Mephistopheles zu Faust. Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich. Margarete. Dein bin ich, Vater! Rette mich! Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen, Lagert euch umher, mich zu bewahren 1 Heinrich! Mir graut's vor dir Mephistopheles. Sie ist gerichtet! Stimme von oben. Ist gerettet! Mephistopheles zu Faust. Her zu mir! Verschwindet mit Faust. Stimme von innen, verhallend. Heinrich! Heinrich! 4610