Vertiefende Landeskunde Studijní opora Opava 2017 1 2 FACHBESCHREIBUNG Ziel des Kurses ist es, einen Einblick in Staat, Kultur und Gesellschaft Deutschlands aus historischer Perspektive zu geben, und zwar anhand exemplarischer Themen. Diese sollen jeweils einen Einblick in das deutsche Alltagsleben sowie die Geschichte und Kultur ermöglichen. Die zentrale Frage ist, wie sich die Bedeutung der jeweiligen Figur, des Ereignisses, Ortes oder Gegenstands in der Geschichte immer wieder gewandelt hat. Aus jedem der drei genannten Bereiche sollte mindestens ein Thema für eine etwa 20minütige Präsentation gewählt werden. Die Abschlussklausur enthält Aufgaben zu jedem der drei Bereiche. Zu jedem Thema werden Erläuterungen und Materialien auf Moodle angeboten, bzw. es werden Hinweise auf Literatur gegeben. Die Verteilung der einzelnen Themen auf die Seminartermine wird zu Beginn des Semesters verabredet. 3 4 ZEITEINTEILUNG Thema Datum der Veranstaltung * Hausaufgabe Bis zum* Lektion 1 Themen aus dem Bereich Alltag, z.B. Die D-Mark... Lektion 2 ... der deutsche Wald Lektion 3 ... Vornamen Lektion 4 ... der Volkswagen Lektion 5 Themen aus dem Bereich Geschichte, z.B. Der Westfälische Frieden von 1648... Lektion 6 ... die Türken vor Wien (1683) Lektion 7 ... Otto von Bismarck Lektion 8 ... die Berliner Mauer Lektion 9 Themen aus dem Bereich Kultur, z.B. Marlene Dietrich... Lektion 10 Faust... Lektion 11 Heidelberg... Lektion 12 Karl May 5 Lektion 13 Zusammenfassung und Ergänzungen 6 ANFORDERUNGEN Die Studierenden sollen in die drei genannten Themenbereiche - Alltag, Kultur und Geschichte Deutschlands bzw. in Deutschland - jeweils exemplarische Einblicke bekommen, sich selbstständig in ausgewählte Themen einarbeiten lernen und diese ihren Mitstudenten verständlich präsentieren. Das wichtigste Lernziel ist dabei, dass sich - im Sinne der Konzeption des Forschungsansatzes „Erinnerungsorte“ - Deutungen und Funktionen kulturgeschichtlich grundlegender Gegenstände und Phänomene im Laufe der Geschichte immer wieder verwandelt haben und teilweise extrem voneinander differieren. Beispiele wären Konstanten und Unterschiede in der sozialen, politischen und ‚kulturellen‘ Bedeutung der „D-Mark“ in der Bundesrepublik, im wiedervereinigten Deutschland und zu Zeiten des Euro; die gegensätzlichen Bewertungen des Westfälischen Friedensschlusses von 1648; die Wandlungen der Faustgestalt in verschiedenen Genres und Medien vom Volksbuch bis zum Zweiten Weltkrieg. Zugrunde liegt dieser Konzeption des Seminars die Einsicht, dass ‚vertiefende Landeskunde‘ kein lexikalisch abfragbares Wissen vermitteln kann und soll, sondern lediglich exemplarisches Grundwissen und vor allem Methoden, dieses Wissen selbständig zu erweitern und in seiner Vorläufigkeit und Fragmentarizität kritisch einschätzen zu können. 7 LITERATUR Etienne François, Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte. Bde. 1-3. München: Beck 2003 (zuerst 2001) Weiterführende Literatur wird nach Bedarf zu jedem einzelnen Thema angegeben. WEGE DER KOMMUNIKATION MIT DEM LEKTOR Materialien zu den einzelnen Themen werden für die Studierenden im Voraus auf Moodle zugänglich gemacht, außerdem nach der jeweiligen Sitzung die tatsächlich gehaltenen Präsentationen. Für weitere Fragen steht der Lektor per E-Mail und in seinen Sprechstunden zur Verfügung, außerdem per Telefon. Kommunikationswege  E-mail: martin.maurach@fpfslu.cz Telefon: 420 553 68 4443  WWW: http://ifl.fpf.slu.cz/maurach 8 1. EINFÜHRUNG 9 10 11 12 13 14 15 16 17 2. THEMEN AUS DEM BEREICH „ALLTAG“ 18 19 20 21 22 THEMA 3. „DER DEUTSCHE WALD“  Der „Wald“ gilt nach dem „Auto“ – welches Wort Kinder heute häufig als erstes lernen - noch immer als das beliebteste „Massensymbol“ der Deutschen. Allerdings sind auch viele skeptisch gegen ein vermeintlich politisch belastetes positives Nationalsymbol – und das scheint selbst auf den „Wald“ zuzutreffen, der eben mindestens ebensoviel ‚Kultur‘ wie ‚reine Natur‘ ist…  Der Ursprung der Idealisierung des Waldes liegt in der Romantik: Die „Waldeinsamkeit“ als Wort wurde 1797 von Ludwig Tieck geprägt; laut dem Wörterbuch der Brüder Grimm handelt es sich um ein ‚Schlagwort der Romantik‘.  Schon damals – also zu Beginn des 19. Jahrhunderts - gab es in Deutschland längst keine ‚natürlichen‘ Urwälder mehr.  „Die romantische Natursehnsucht war eine Erfindung von Stadtbewohnern, von Dichtern und Malern, die zu den wirtschaftlich intensiv genutzten, schon damals sorgfältig hergerichteten Waldlandschaften räumlich und emotional auf Distanz gegangen waren. Das war die Voraussetzung dafür, die harmonische Geschlossenheit und geordnete Wildheit der Wälder wahrzunehmen und zu preisen.“ (Albert Lehmann in: Deutsche Erinnerungsorte, a.a.O., Bd. 3, S. 188)  Der ‚Kult‘ des Waldes wurde unter Berufung auf des Tacitus‘ Bericht über die Germanen, „Germania“ (98 n. Chr.), bereits bald nach der Romantik des 19. Jahrhunderts als etwas angeblich typisch Deutsches politisiert. 23  Der Kulturhistoriker, Volkskundler und Novellenautor Wilhelm Heinrich Riehl (19. Jahrhundert) gilt als Begründer einer „systematisch entwickelten nationalistischen Waldideologie“ (189), zugleich aber als ein Vorläufer des Umweltschutzes. Für ihn galt der Wald als Quelle der ‚Lebenskraft‘ eines Volkes.  In den 1980er Jahren blickten andere europäische Länder wie England und Frankreich eher skeptisch auf Deutschland und seine vermeintlich ‚typisch deutsche‘ Angst vor einem durch säurehaltigen Regen verursachten Waldsterben. Der Ausdruck „Waldsterben“ wurde zum wichtigsten ökologischen Schlagwort der frühen 1980er Jahre, ähnlich wie heute der „Klimawandel“.  In England z.B. bevorzugte man gegenüber dem Wald eher die offene, parkartige Landschaft, die einen weiten Ausblick über 24 Wiesen usw. freigab; vgl. die künstlich angelegten sogenannten ‚englischen Gärten‘ als dann z.B. auch in Deutschland (München!) beliebten Stil der Landschaftsgärtnerei bei Parkanlagen. Englischer Garten in München mit Monopteros  Seit dem Kaiserreich (ab 1871) ist die ‚deutsche Eiche‘ über den Nationalsozialismus bis in die Bundesrepublik hinein ein beliebtes Bildmotiv geblieben. Dabei tut sich die Bundesrepublik mit Symbolen immer eher schwer. Eichenlaub war aber auch noch auf der bundesrepublikanischen D-Mark zu sehen. Eichen zierten Kriegerdenkmäler und Orden. Während der NS-Zeit wurden „Hitlerlinden“ und „Hitlereichen“ gepflanzt.  Allerdings ist die Eiche auch bei Engländern und Franzosen beliebt, also keineswegs nur eine ‚deutsche Spezialität‘. 25  Die nationalsozialistische Ideologie setzte in einem Missbrauch biologischen Denkens die Lebenszyklen von Wäldern und Völkern parallel.  Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Wälder wichtig, um das Überleben vieler Familien zu sichern: Es fehlte an Brennmaterial und auch an Nahrungsmitteln.  Filme wie „Der Förster vom Silberwald“ oder Walt Disneys „Bambi“ zeigen, wie sich in den 1950er Jahren das Bild des Waldes wandelte: Nicht nur war der Beruf des Försters damals populär. Der Wald galt nicht mehr als Abenteuerspielplatz oder Überlebenshilfe, sondern wurde wieder zur Idylle. 26 Heute kennen immer weniger Menschen den Wald noch aus eigener Anschauung, z.B. durch Kindheitserlebnisse. Nur wenige Menschen kennen überhaupt noch mehr als drei oder vier verschiedene Baumarten. 27  Die Mehrheit vor allem der Stadtbevölkerung habe ein unrealistisches Bild vom Wald. So sei die Angst vor dem „Waldsterben“ immer in den Städten am größten gewesen. Dort hielten auch manche den Wald unrealistischerweise für eine harmonische Tiergemeinschaft.  Auf dem Land sehen die Menschen den Wald dagegen realitätsnäher als „Aufenthaltsort und als Wirtschaftsressource“ (S. 196).  Die Ästhetisierung des Waldes als Ersatz- und Gesamtkunstwerk ist eine Folge der Romantik des 19. Jahrhunderts.  Förster, die auch Wild jagen und Bäume schlagen müssen, haben ein anderes Bild vom Wald als Spaziergänger, die den Wald nur ästhetisch genießen.  Der ‚ideale‘ Wald der Deutschen sei heute ein Mischwald aus verschiedenen Baumgenerationen; populäre ökologische Aktionen wie „Mein Freund, der Baum“ dienten eher dem Schutz einzelner Bäume, weniger des Waldes als solchen. Als 28 Symbol für die Masse oder gar für ein ganzes Volk habe der Wald in Deutschland wohl ausgedient. THEMA 4. VORNAMEN 29 30 31 32 33 34 35 THEMA 5. DER VOLKSWAGEN Der Volkswagen heute 1999 wurde das hundertmillionste Fahrzeug des VolkswagenKonzerns ausgeliefert. Inzwischen wird die Marke VW (‚Käfer‘) nur noch in Brasilien produziert. Das Unternehmen macht wegen seiner Manipulationen beim AbgasTest, wegen undurchschaubarer Zahlungen an seine Manager und anderem seit Jahren negative Schlagzeilen. Es hat viel von seinem Vertrauen verspielt. Dagegen galt es Jahrzehnte lang als eine Art Musterunternehmen der Bundesrepublik Deutschland. Unter anderem förderte die „Volkswagen Stiftung“ in großem Maßstab wissenschaftliche Projekte von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. „VW hat das Schlimmste längst noch nicht hinter sich Von Philipp Vetter Veröffentlicht am 16.09.2016 [...] "Wir haben das Heft des Handels immer mehr in der Hand", sagt Volkswagen-Chef Matthias Müller Quelle: REUTERS Als Matthias Müller am vergangenen Mittwoch auf die Bühne der Betriebsversammlung in Wolfsburg kommt, bemüht er sich einmal mehr um Optimismus. „In den ersten Wochen und Monaten nach meinem Amtsantritt waren wir noch Getriebene, angesichts der Dimension des Ganzen, die erst Stück für Stück klar wurde“, sagt er. „Mittlerweile bekommen wir das Heft des Handelns immer mehr in die Hand.“ Was der Volkswagenchef meint, auch wenn er es wie immer nicht beim Namen nennt, ist der Abgasskandal. „Dieselthematik“ nennen sie in Wolfsburg die Manipulation von elf Millionen Autos, die dadurch auf dem Prüfstand die Grenzwerte für die StickoxidEmissionen einhielten, auf der Straße aber giftigere Abgase ausstießen. 36 „Substanzielle Fortschritte gemacht“ US-Gericht stimmt Vergleich im Abgas-Skandal zu Volkswagen hat von einem US-Gericht grünes Licht für einen Vergleich im Rechtsstreit um manipulierte Abgaswerte bekommen. Der Konzern will Klägern aus den USA knapp 15 Milliarden Dollar zahlen. Quelle: Die Welt Noch immer liegt der Bericht der Anwaltskanzlei Jones Day nicht vor, die im Auftrag von VW die Verantwortlichen für die Manipulation ermitteln soll, Anleger haben Milliardenklagen eingereicht, die EU macht Druck, dass auch europäische VW-Kunden entschädigt werden müssen und die Strafverfolgungsbehörden zahlreicher Länder haben ihre Ermittlungen längst nicht abgeschlossen. Weitere Beben sind in Wolfsburg auch zwölf Monate danach alles andere als ausgeschlossen. „Auch mir geht vieles nicht schnell genug voran“, gibt Müller bei der Betriebsversammlung zu. „Dennoch: Volkswagen hat in den vergangenen zwölf Monaten substanzielle Fortschritte gemacht.“ Das lässt sich nicht von der Hand weisen und doch gibt es immer noch fast täglich neue negative Schlagzeilen. Am Freitag sorgte einer der größten Investoren der Welt für neue Unruhe. Der Investmentfonds Blackrock reichte zusammen mit rund 160 anderen Anlegern eine weitere Schadenersatzklage beim Landgericht Braunschweig ein. „Die eingereichte Klage steht im Zusammenhang mit dem Versäumnis von Volkswagen, gegenüber seinen Investoren den Einsatz von Abschalteinrichtungen offenzulegen, die für manipulierte Emissionstests verwendet wurden“, sagte ein Sprecher von Blackrock. Nur in Braunschweig geht es um sieben bis acht Milliarden Allein die Amerikaner machen nach Angaben aus Justizkreisen einen dreistelligen Millionenbetrag als Schaden geltend, weil ihre Aktien nach dem Bekanntwerden von Dieselgate massiv an Wert verloren. Insgesamt beziffert die Kanzlei Quinn Emanuel, die die 160 Anleger vertritt, die Forderungen ihrer Mandanten auf mehr als zwei Milliarden Euro. Im Juni hatte auch schon der Norwegische Staatsfonds Klage eingereicht, immerhin der viertgrößte Anteilseigner von Volkswagen. Selbst der Pensionsfonds des Freistaates Bayern will den Kursverlust seiner VW-Aktien ersetzt haben. Und neben der amerikanischen Kanzlei Quinn Emanuel vertritt auch der deutsche Anwalt Andreas Tilp Hunderte Investoren. In einer ersten Klage im März forderte er für 278 Anleger knapp 3,3 Milliarden Euro. Spätestens am Montag wird nach Informationen der „Welt“ eine weitere Tilp-Klage von 150 institutionellen Investoren folgen, die mehr als zwei Milliarden Euro Schadenersatz verlangen. Damit geht es allein vor dem Landgericht Braunschweig für Volkswagen um eine Summe von sieben bis acht Milliarden Euro. Und das sind nur die Klagen der institutionellen Investoren. Am Montag will Tilp mit einem Lieferwagen voll 37 Schriftsätzen beim Braunschweiger Gericht vorfahren. Denn auch etwa 1000 Privatanleger wollen ihren Schaden von VW ersetzt bekommen. Um der Klageflut überhaupt Herr werden zu können, hat das Gericht ein Musterverfahren eingeleitet. Die einzelnen Klagen werden nun vorerst ausgesetzt, bis anhand des Falles eines Musterklägers grundsätzlich entschieden ist, ob VW Schadenersatz zahlen muss. Die Argumentation der Anleger ist immer ähnlich: Sie werfen VW vor, dass der Konzern viel früher mit einer Ad-hoc-Meldung über den Betrugsskandal hätte berichten müssen. Tatsächlich geschah dies erst Tage nachdem die EPA die Vorwürfe am 18. September 2015 öffentlich gemacht hatte. VW argumentiert, es habe ein „überwiegendes Geheimhaltungsinteresse“ bestanden. Denn dass auch die Führungsspitze mindestens Wochen, wenn nicht Monate oder sogar Jahre vorher über die Manipulationen informiert war, kann auch VW nicht bestreiten. Spätestens am 3. September räumten Volkswagenvertreter gegenüber den US-Behörden den Betrug ein, doch bis zur Ad-hoc-Meldung dauerte es noch Wochen. Ermittlungen werden sich noch Monate hinziehen Das hat auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) auf den Plan gerufen. Sie erstattete Anzeige gegen den kompletten damaligen VW-Vorstand wegen des Verdachts der vorsätzlichen Marktmanipulation. Dem Gremium gehörte damals auch der heutige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch an. Doch bislang leitete die Staatsanwaltschaft Braunschweig nur gegen den früheren Vorstandschef Winterkorn und den heutigen VW-Marken-Chef Herbert Diess Ermittlungsverfahren ein. Sie sind zwei der insgesamt 30 Beschuldigten, die bei der Behörde im Zusammenhang mit dem Dieselskandal geführt werden. Wegen des eigentlichen Betrugs mit den manipulierten Motoren sind bislang keine Manager der obersten Führungsriege unter den Verdächtigen, das könne sich aber jederzeit ändern, betont man bei der Staatsanwaltschaft stets. Die Ermittlungen werden sich noch Monate hinziehen. In diesem Jahr ist nicht mehr mit einer Entscheidung zu rechnen, ob es zu Anklagen wegen Dieselgate kommt. VW-Affäre bringt Gemeinden in finanzielle Schieflage In Folge des Abgasskandals bei VW bekommen jetzt auch Zehntausende Bürger die Konsequenzen zu spüren. Durch den Ausfall von Gewerbesteuern in ihren Gemeinden steigen für sie die Kosten. Quelle: Die Welt Ebenfalls noch offen ist, ob die Staatsanwaltschaft ein Bußgeld gegen VW verhängt. In Deutschland ist es neben dem formal im Ordnungswidrigkeitengesetz vorgesehenen maximalen Bußgeld von zehn Millionen Euro auch möglich, die durch den Betrug entstandenen unrechtmäßigen Gewinne abzuschöpfen. Ein entsprechendes Verfahren ist eingeleitet, in früheren Fällen bei Siemens oder MAN wurden durchaus dreistellige Millionenbußen verhängt. 35 Milliarden Euro Gesamtkosten durch Dieselgate 38 Doch das könnte eine Kleinigkeit im Vergleich zu den noch drohenden Strafen in den USA sein. Dort hat VW zwar im Zivilstreit einen Vergleich geschlossen, über mögliche strafrechtliche Konsequenzen ist aber noch nicht entschieden. VW soll sich in Gesprächen mit den US-Behörden befinden, um auch hier eine Lösung zu finden. Noch völlig unkalkulierbar ist die Forderung der EU-Kommission, auch europäische Besitzer betroffener Autos zu entschädigen. In den USA bekommen Halter bei einem Rückkauf der Fahrzeuge nicht nur den Wert erstattet, sondern eine zusätzliche Prämie von einigen Tausend Dollar. In Europa lehnt der Konzern eine solche Entschädigung mit Verweis auf die unterschiedliche Rechtslage ab. Neben Verbraucherschutzverbänden haben sich allerdings inzwischen auch mehrere EUKommissarinnen für eine Entschädigung der Kunden stark gemacht. Müsste VW jedem betroffenen Halter auch nur 1000 Euro zahlen, käme eine weitere Milliardensumme zusammen. Analysten wie Frank Schwope von der NordLB rechnen mit bis zu 35 Milliarden Euro Gesamtkosten durch Dieselgate. Sollte er Recht haben, müsste VW nach dem Rekordverlust von 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2015 weitere Milliardenbelastungen hinnehmen. Die bisher gebildeten Rückstellungen von 17,8 Milliarden Euro würden dann nicht reichen. Müller will die Krise auch als Chance nutzen und den Konzern neu aufstellen. Er setzt auf Elektrifizierung und Vernetzung. Doch es wird noch lange dauern, bis sich VW wieder stärker mit der Zukunft als mit der eigenen Vergangenheit beschäftigen kann.“ Der „VW-Käfer“ ist quasi als mobiles zweites Zuhause immer noch sehr populär. 39 Frage Werden die negativen Aspekte der Geschichte der Marke und des Unternehmens verdrängt? Werden sie von den aktuellen Skandalen überlagert? Aus der Geschichte – gestern und heute In seinen Anfängen war er als militärischer Kübelwagen konzipiert. Der Protoyp des Volkswagens wurde von Ferdinand Porsche konstruiert. 40 In der Bundesrepublik wurde er zu einem Symbol des Wirtschaftswunders, weil sich nun auch Leute mit weniger Einkommen diese Automarke leisten konnten. Ursprünglich war „Volkswagen“ – kurz „VW“ – nur die Bezeichnung für einen Autotyp. Heute ist die Herstellerfirma – allen negativen Nachrichten zum Trotz ein „Global Player“. Der „Volkswagen“ wird auch als ‚deutscher Mythos des 20. Jahrhunderts‘ bezeichnet, weil er vor allem mit angeblich typisch ‚deutschen‘ Eigenschaften assoziiert wird wie: Ausdauer, Bescheidenheit, Einfallsreichtum, Ehrlichkeit, Leistungsfähigkeit, Sparsamkeit, Zuverlässigkeit. Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit werden seit dem Bekanntwerden der Manipulationen bei Abgastests im Hause VW allerdings wohl mit einem Fragezeichen versehen. Eine massenhafte Motorisierung der deutschen Bevölkerung wollten zuerst die Nationalsozialisten mit dem sogenannten „KDF-Wagen“ (= „Kraft-durch-Freude-Wagen“) erreichen. „Kraft durch Freude“ war der Name der nationalsozialistischen Freizeitorganisation, die für eine durchorganisierte und ideologisch linientreue Organisation der Freizeit deutscher Arbeitnehmer sorgen sollte, u.a. durch Massenveranstaltungen wie Gruppenreisen, Sportfeste usw. 41 Die Stadt Wolfsburg wurde 1938 künstlich als „Stadt des KdFWagens“ neugegründet. Bis heute wird sie vom VW-Werk als weitaus größtem Arbeitgeber der Region geprägt. Während des Krieges mußten im VW-Werk auch Häftlinge und Zwangsarbeiter arbeiten. 42 Heute sind die gläsernen Auto-Produktionstürme so etwas wie ein neues Wahrzeichen der Stadt Wolfsburg. Die VW-Werbung soll suggerieren, die Gestalt des VW-Käfers sei so elementar wie die des Hühnereis. 43 5. THEMEN AUS DEM BEREICH „GESCHICHTE“ THEMA: DER WESTFÄLISCHE FRIEDE Der Westfälische Friede oder Friede von Münster und Osnabrück (1648) beendete den Dreißigjährigen Krieg. Der Friedenssschluss richtete sich gegen einen außenstehenden, im Reich und in den Kriegshandlungen gar nicht präsenten, teils nur imaginierten Feind: die ‚Türken‘, die Nichtchristen. Der Abzug der Soldaten zog sich in manchen Gegenden bis 1650 hin; er war kaum geregelt. Immerhin gab es eine Regelung zur gerichtlichen Verfolgung einzelner, bekannt gewordener Kriegsverbrechen. 44 Es wurde kein Denkmal für den Friedensschluß errichtet; stattdessen wurden im Reich zwischen Mai 1648 und Dezember 1650 über 150 Friedensfeste gefeiert. „Für die Protestanten wog der Friedensvertrag schwerer als ein einfaches Toleranzedikt zugunsten einer religiösen Minderheit. Seit den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts wurde der Westfälische Frieden [...] als das Grundgesetz des Reiches gepriesen.“ (Claire Gantet in: Deutsche Erinnerungsorte a.a.O., Bd. 1, S. 95) Die Katholiken fürchteten dagegen, durch den Friedensvertrag mehr zu verlieren. 45 In der Aufklärung, bei Voltaire und Rousseau, habe der Friedensvertrag als Muster einer europäischen Ordnung gegolten, u.a., weil er föderale Elemente enthielt. Friedrich Schillers Drama „Wallenstein“ (1798/99) behandle die zeitgenössische französische Revolution unter der Maske eines Historiendramas über den Dreißigjährigen Krieg. Vor den Freiheitskriegen der Deutschen gegen Napoleon ab 1813 diente u.a. bei dem deutschen Dichter Ernst Moritz Arndt die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg dazu, patriotische Gefühle anzuregen. 46 Später im 19. Jahrhundert, im Vorfeld der Bestrebungen zu einer deutschen nationalen Einigung, wird der Westfälische Frieden als Beginn der deutschen Kleinstaaterei kritisiert. Die Romantiker entdecken Jacob Christoffel von Grimmelshausens „Abenteuerlichen Simplicissimus“ (1669) den bedeutendsten deutschen Roman über den Dreißigjährigen Krieg, wieder. Damit wird die Erinnerung an den Westfälischen Friede, der früher als europäische Ordnung gegolten hatte, weiter deutsch-patriotisch ‚nationalisiert‘. Zu dieser romantischen Deutungslinie des Westfälischen Friedens: „Als das christliche Mittelalter zum goldenen Zeitalter eines einigen, starken Kaiserreiches im Herzen Europas stilisiert wurde, erschienen der Dreißigjährige Krieg und der Frieden, der ihn beendet hatte, nur noch als negatives Gegenbild. Für alle, die dem entstehenden preußischen Staat Loblieder sangen, hätte sich aus der Reformation in Verbindung mit der Gewissensfreiheit, wie Luther sie vertreten hatte, eine politische Moderne entwickeln können, hätte es nicht 1648 den Widerstand von katholischen Fürsten und Kaiser gegeben, die damit schuldig waren an der Verewigung der nationalen Spaltung und der Einmischung des Auslandes. Auf der Suche nach einem Vorbild für den starken Staat besann man sich auf den Heerführer, der seine Truppen um sich geschart und zusammengeschweißt hatte; damit wurde Gustav Adolf [= der schwedische König und oberste Feldherr auf protestantischer Seite während des Dreißigjährigen Krieges] zur Lichtgestalt.“ (Gantet a.a.O., S.98) Ab 1832 (dem 200sten Todestag) gab es erstmals größere Gedenkfeiern für Gustav Adolf. 47 Im Vorfeld der deutschen bürgerlichen Revolution von 1848, dem Streben nach Freiheit und nationaler Einigung, gab es keine Gedenkfeiern mehr für den Westfälischen Frieden als solchen, höchstens noch in früher bikonfessionellen Städten oder in den Freien Reichsstädten. Die ablehnende Sicht des Westfälischen Friedens als Ursprung der nationalen Uneinigkeit der Deutschen wurde ab ca. den 1820er, 1830er Jahren auch von den Schulbüchern nachvollzogen. Rund hundert Jahre später setzte die nationalsozialistische Geschichtspropaganda den Westfälischen Frieden mit dem als nationales Unrecht empfundenen Friedensvertrag von Versailles (1919, zum Ende des Ersten Weltkriegs) parallel. 48 Nach 1945 wurde der Westfälische Friede in der Bundesrepublik wieder höher bewertet; der Föderalismus als Modell der eigenen aktuellen Staatsform gewann wieder mehr Ansehen. Man erblickte darin auch ein Muster für eine mögliche europäische Einigung. THEMA 7. DIE TÜRKEN VOR WIEN 49 50 51 52 53 54 55 THEMA 8. OTTO VON BISMARCK 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 THEMA 9. DIE BERLINER MAUER 69 70 71 72 73 74 75 76 THEMEN AUS DEM BEREICH KULTUR, Z.B. THEMA 10. MARLENE DIETRICH 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 THEMA 11. FAUST 87 88 89 90 91 Mephisto als „Coach“ für die Elite: Auszug aus der Paktszene der Comic-Version des „Faust“ von Flix (d.i. Felix Görmann, 2010) 92 Die ‚Gretchenfrage‘ in der ‚interkulturellen‘ „Faust“-Version von Flix, gestellt von der Mutter eines muslimischen Gretchen im Berlin nach der Jahrtausendwende. 93 THEMA 12. HEIDELBERG 94 95 96 97 98 99 100 101 102 THEMA 13. KARL MAY 103 104 105 Frage: Welche Züge aus Biographie und Werk Karl Mays erscheinen Ihnen typisch für die allgemein- und kulturgeschichtliche Situation um 1900? 106