1 PARADIGMATISCHE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN WÖRTERN EINLEITEND Zeichen werden immer in einem Kontext, d. h. in einer konkreten Situation aktualisiert, so dass wir das Zeichen verstehen, weil wir es im Rahmen einer Gesamtsituation interpretieren. Solche Zeichen bilden eine Reihe von Systemen, die insgesamt das System bilden, das System der deutschen Sprache. Wörter stehen zueinander in paradigmatischen oder/und syntagmatischen Beziehungen. Die paradigmatischen Beziehungen sind zwischen Zeichen gleicher Art bzw. Funktion. Die syntagmatischen Beziehungen sind Beziehungen zwischen Zeichen unterschiedlicher Art bzw. Funktion ZIELE In diesem Kapitel lernen wir, wie wir Wörter, lexikalische Einheiten im Satz beschreiben und analysieren können. SCHLÜSSELWÖRTER Paradigma, Syntagma, Hierarchie, Hyperonym, Hyponym, Teil-Ganzes-Beziehung, Synonymie, Polarität, Antonymie, Komplementarität, Konversität, Wortfeld, Sachgruppe, Syntagma, denotative Bedeutung, konnotative Bedeutung, Kompatibilität, Inkompatibilität 1.1 Paradigmatische Beziehungen Paradigmatische Relationen zwischen den Wörtern stellen Beziehungen zwischen lexikalischen Einheiten dar, die in einem bestimmten Kontext auftreten können und sich in diesem Kontext gegenseitig bestimmen. Vereinfacht gesagt - hierzu gehören Wörter oder lexikalische Einheiten - mit gleicher Position im Satz 1.1.1 HIERARCHIE-BEZIEHUNGEN Wörter stehen zueinander in Beziehungen der Über- oder Unterordnung. Der Oberbegriff wird Hyperonym bezeichnet, die untergeordnete Einheit, der Unterbegriff, wird mit dem Teminus Hyponym bezeichnet. Typisches Beispil für Hierarchie-Beziehungen ist die Gattung-Art-Hierarchie. Zu dem Oberbegriff Einhufer gehört der Unterbegriff Pferd. Das Hyperonym BLUME hat mehr Hyponyme: Wucherblume, Löwenzahn, Seerose, Butterblume Eine andere Art der Unterordnung liegt bei Teil-Ganzes-Beziehungen vor: Fahrrad (Hyperonym) – Rahmen, Gepäckträger, Sattel, Reifen, Mantel, Schutzblech, Pedal, Kette, Lenker, Griff, (Hyponyme) KONTROLLAUFGABE Ordnen Sie die Wörter hierarchisch: Tageszeitung-Publikation-Druckerzeugnis-Zeitung-Jahrbuch LÖSUNG Druckerzeugnis – Publikation – Tageszeitung – Zeitung – Tageszeitung 1.1.2 IDENTITÄTSBEZIEHUNGEN Wenn sich mehrere Formative auf eine Beudeutung beziehen, sprechen wir über Synonymie. DEFINITION Synonyme sind bedeutungsähnliche Wörter, deren distinktive semantische Merkmale unter der Einwirkung des Kontextes neutralisiert werden. Für Synonymie gilt ein wichtiges Kriterium: Synonyme müssen austauschbar sein. Beispiele für Synonyme sind: Bewohner - Einwohner, anfangen - beginnen, verstehen - begreifen, Fahrrad - Bike, Restaurant - Gaststätte, (gramm.) obwohl - obgleich In eingien Fällen ist die Synonymie unvollständig, dass heisst, dass die Wörter nich in jedem Kontext austauschbar sind. Die Verben bekommen und erhalten kann man in vielen Kontexten austauschen, man kann aber nicht sagen *Fieber erhalten, nur Fieber bekommen. Synonyme Wörter können einen anderen stilistischen Wert haben, aus diesem Grund sind Wörter wie Haupt – Kopf – Birne oder Gel – Kohle nicht in jedem Kontext austauschbar. Darüberhinaus gibt es eine Reihe an territorialen Dubletten. Die Wörter Sonnabend und Samstag sind zwar synonym, ihre Verwendung richtet sich aber nach den territorialen Gewohnheiten. In diesem Fall wird Sonnabend eher im Norden des deutschsprachigen Gebiets verwendet, während Samstag im Süden zu hören ist. 1.1.3 POLARITÄTSBEZIEHUNGEN Polaritätsbeziehungen sind zwischen Wörter, deren Bedeutung gegensätzlich ist. Hier sind mehrere Subtypen zu unterscheiden: Unter Antonymie wird die Relation zwischen zwei extremen Gegensätzen verstanden, z.B. schwarz - weiß, hell - dunkel, heben - senken, krank – gesund. Zwischen den Antonymen sind Übergänge möglich: heiß  warm  lau  kalt eiskalt. Genauso kommen Graduierung (schön, schöner, am schönsten) und Modifizierung durch Gradadverbien (recht schön, ziemlich schön) in Frage. Komplementarität (sog. entweder-oder-Beziehung) ist die sematische Relation, bei der die Pole einanader ausschließen, wobei keine Zwischenstufen möglich sind. Z. B. verheiratet alleinstehend/single, belebt - unbelebt, Ebbe - Flut, Konversität ist eine Beziehung zwischen zwei Wörtern, von denen eine die semantische Umkehrung des anderen darstellt: kaufen - verkaufen, mieten - vermieten, geben - bekommen, u.a. ZUM SELBSTSTUDIUM Suchen Sie Antonyme zu folgenden Adjektiven: helles Haar - heller Klang - heller Kopf frisches Wasser - frische Handtücher - frische Spur - frischer Wind - frische Butter 1.1.4 WORTFELDER UND SACHGRUPPEN Unter einem Wortfeld wird eine Grupe von Wörtern verstanden, die eine ähnliche Bedeutung haben und der gleichen Wortart angehören. Solche Wörter aus einem Wortfeld können also miteinander vertauscht werden, ohne dass sich die Bedeutung eines Satzes wesentlich ändert. So gehören z.B. Verben des Sagens zu einem Wortfeld: Es sind folgende Verben:rufen, erwidern, fragen, entgegnen, erzählen, berichten, antworten, behaupten, bitten, befehlen, erklären, meinen, anordnen, sprechen, reden, schildern, vermuten, mitteilen, plaude rn, schwatzen, diskutieren. Zu unterscheiden ist das Wortfeld von der Wortfamilie. Diese umfasst Wörter, die um einen gleichen oder ähnlichen Wortstamm gruppiert sind und eine gemeinsame Wortwurzel haben; allerdings müssen die Wörter einer Wortfamilie nicht zwingend eine ähnliche Bedeutung haben, was aber auf Wörter aus Wortfeldern zutrifft. Zu einer Wortfamilie gehören Wörter: fahren, Fahrere, Fahrt, Fahrrad, erfahren u.a. Eine andere Art der Organisation des Wortschatzes stellen die Sachgruppen dar – kriterial ist hier nicht das semantische Verfahren sondern die onomasiologische Gruppierung der lexikalischen Einheiten. Das Zentrum der Gruppe bildet ein gemeinsamer Begriff (= Oberbegriff, Hyperonym). Um das Zentrum herum gruppieren sich die untergeordneten Wörter (= Hyponyme). Ein Beispiel ist Möbel als Oberbegriff und Stuhl, Tisch, Sofa, Bett, Schrank als untergeordnete Wörter, die zu der Sachgruppe gehören. KONTROLLAUFGABE Im folgenden Text sind die Wörter der beiden Wortfelder gehen und sehen wenig treffend oder falsch gebraucht worden. Schreiben Sie den Text neu, indem sie die inkompatibele Verben durch andere aus dem Wortfeld ersetzen: Petra und Klara schlenderten im Eiltempo durch die Stadt. Sie beobachteten die Auslagen in den Schaufenstern. Mit aufgerissenen Augen blinzelten sie in das Neonlicht. Gemütlich eilten sie von Straße zu Straße, bummelten hastig durch die Kaufhäuser und gafften die vielen Dinge in den Spielzeuggeschäften an. Nach ihrem Bummel spazierten sie geschwind wieder nach Hause. Ganz leise marschierten sie auf ihr Zimmer, denn sie wollten von ihrer Mutter nicht besichtigt werden. LÖSUNG Lösungsvorschlag: Petra und Klara marschierten im Eiltempo durch die Stadt. Sie gafften die Auslagen in den Schaufenstern. Mit aufgerissenen Augen starrten sie in das Neonlicht. Gemütlich bummelten sie von Straße zu Straße, rannten hastig durch die Kaufhäuser und blickten an die vielen Dinge in den Spielzeuggeschäften an. Nach ihrem Bummel eilten eilten sie geschwind wieder nach Hause. Ganz leise schlichen sie sich auf ihr Zimmer ein, denn sie wollten von ihrer Mutter nicht erblickt werden. 1.2 Syntagmatische Beziehungen Die Bedeutung der Wörter beeinflusst ihre gegenseitigen Kombinationsmöglichkeiten, d.h. ihre Vereinbarkeit oder Nichtvereinbarkeit (Kompatibilität oder Inkompatibilität) im Satz. So sind Verbindungen wie *ein kluger Trottel, *der Student ist auf das Dach geflogen, *ein weises Kind, *teuflischer Himmel, im Eiltempo durch die Stadt schlendern, schnell sitzen usw. als semantisch inkompatibel zu bezeichnen, weil in ihren Bedeutungen Seme (Bedeutungseinheiten) enthalten sind, die einander ausschließen. Das Sprachsystem kennt außerdem Mehrwortlexeme, d.h. bestimmte Wortgruppen, deren Vorkommen im Satz als erwartbar zu bezeichnen ist. Sie sind syntaktisch stabil, können teilidiomatisiert sein wie z.B. blutiger Anfänger, wo das Element blutig eine andere Bedeutung realisiert (absoluter Anfänger) oder einfach präferiert wie schütteres Haar. Solche paarigen Mehrwortverbindungen, die sich vor allem durch ihre Festigkeit auszeichnen, nennen wir Kollokationen: Zähne kollokiert mit putzen, wohl aber nicht mit *reinigen. Keine andere Variante verträgt auch Tisch decken, Geld abheben. 1.2.1 KOMPATIBILITÄT UND INKOMPATIBILITÄT Die Kompatibilität bezieht sich im Satz auf alle auftretenden Wörter und kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst sein. Betrachten wir einige Sätze, die formal in Ordnung sind, aber inhaltlich gesehen nicht korrekt sind: *Die lila Kühe in der Schweiz bekommen das Wahlrecht. Die Inkompatibilität in diesem Satz ergibt sich aus der Tatsache, dass die Realität falsch widergespiegelt wird. *Er hat sie mit einer Schußwaffe erschossen. Dieser Satz weist dagegen Redundanz (Überflüssigkeit) auf: In der Semstruktur von erschießen ist schon Schußwaffe enthalten. Korrekt wäre nur eine Spezifizierung, z.B. mit einem Colt. *Die Säge kreischte dumpf. Die Semstrukturen von kreischen und dumpf chließen einander aus. Dumpf bezieht sich auf eine niedrige Lautstärke, wobei kreischen assoziiert einen sehr lauten, schrillen Laut, bzw. Geräusch. *Die Königin trug einen Diadem auf der Birne. Das letzte Beispiel stellt eine Inkompatibilität dar, bei der die Regeln der konnotativen Bedeutung die Stilschicht verletzen. Birne ist ein salopp-umgangsspsachlicher Ausdruck für das Substantiv Kopf. Die Verbindbarkeit der Wörter hängt deswegen nicht nur von den denotativen, sondern auch von den konnotativen Bedeutungselementen ab. Der Ausdruck Polizist bezeichnet in neutraler Weise einen Angehörigen einer bestimmten Berufsgruppe. Die Ausdrücke Schutzmann und Bulle verleihen ihm zusätzlich eine positive bzw. negative Konnotation. Die denotative Bedeutung (Hauptbedeutung) ist also konventionell, objektiv, neutral, während die konnotative (Nebenbedeutung) subjektiv und emotional gefärbt ist. 1.2.2 ÜBERTRAGENE WORTVERWENDUNG Einen weiteren Typ von syntagmatischen Sinnrelationen stellt die sog. indirekte oder übertragene Wortverwendung dar. Es ist vor allem der poetische Sprachgebrauch, der durch die Brille der Kompatibilität gesehen eine ganze Reihe für deren Verletzung liefert. Dabei geht es um Verwendungsweisen und Verkettungen von Wörtern, die nicht systemhaft gespeichert sind. Beispiele sind aber auch in der Alltagssprache reichlich vorhanden. In der Werbesprache findet man z.B. Slogans mit indirekten Wortverwendungen: - Konica. Macht einfach gute Photos. - Der einzige Wolf, der backen kann. (Stickletti-Werbung) - Der clevere Haushalt. Oder im Falle der Synästhesie, d.h. der Übertragung einer Sinnesempfindung in den Bereich einer anderen Sinnesempfindung. - Der Wein hat einen trockenen Geschmack. - In diesem Klima herrscht bittere Kälte. - Die Sängerin hatte eine weiche /spröde, feste, rauhe/ Stimme. - Die Lampe warf ein hartes Licht. In allen Fällen handelt es sich um die übertragene – metaphorische – Verwendung. ZUM SELBSTSTUDIUM 1. Informieren Sie sich über den Begriff „Metapher“ in Ihrem Lexikon. 2. Suchen Sie im beliebigen Wörterbuch 10 Beispiele für Kollokationen, wie lauten ihre Entsprechungen in ihrer Muttersprache? 3. Beschreiben Sie die Bedeutungsbeziehungen zwischen den Adjektiven in den verschiedenen Kontexten: bittere Mandeln – bittere Worte fester Stoff – feste Freundschaft kühles Wasser-kühler Empfang süße Kirschen – süße Stimme ZUSAMMENFASSUNG Wenn es darum geht, die Beziehungen zu beschreiben, die zwischen sprachlichen Ausdrücken herrschen, sollte zunächst zwischen paradigmatischen und syntagmatischen Relationen unterschieden werden. Paradigmatische Relationen sind Relationen zwischen Ausdrücken, die in einem gegebenen Kontext für einander austauschbar sind. Im Gegensatz zu den paradigmatischen Beziehungen bezeichnet man Beziehungen, die auf dem linearen Charakter der Sprache beruhen, als syntagmatische Beziehungen.