SPRACHVARIETÄTEN EINLEITEND Der Wortschatz in jeder Sprache ist ein offenes System, in dem ständige Veränderungen zu verzeichnen sind. Diese Veränderungen betreffen nicht nur die Bedeutungsstruktur einzelner Lexeme, sondern sie beruhen auch darauf, dass manche Wörter allmählich aus dem Gebrauch kommen, veralten oder aussterben. Andererseits wird der Wortschatz auch durch Neubildungen oder Entlehnungen aus anderen Sprachen oder durch das Eindringen der fachsprachlichen Lexik in den Allgemeinwortschatz ständig bereichert. Der Wortschatz kann demnach unter unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet und nach unterschiedlichen Gliederungskriterien kategorisiert werden. ZIELE In der Sprachwissenschaft sind unterschiedliche Ordnungs- und Kategorisierungssysteme bekannt. In diesem Kapitel lernen wir über unterschiedliche Subsystemen der Lexik. SCHLÜSSELWÖRTER Archaismen, Historismen, Neologismen, Okkasionalismen, Entlehnungen, Dialektismen, territoriale Dubletten, Soziolekt, Idiolekt, Jargonismen, Fachlexik, Termini 1.1 Historische Gliederung der Wörter Die deutsche Sprache produziert laufend neue Wörter, sogenannte Neologismen. Doch bevor ein Wort tatsächlich Eingang in den Duden findet, kann es einige Jahre dauern. In den 90er Jahren war z.B. das Wort Notebook ein Neologismus. Besonders die Jugendsprache zeichen sich durch eine hohe Anzahl an neuen Wörtern aus. Das Verb knicken hiess früher ‚falten‘, heute wird es in der Phrase das kannst du knicken = das kannst du vergessen verwendet.. Als Archaismus wird ein Wort bezeichnet, das aus der Sprache verschwindet, weil es nicht mehr gebraucht wird und als altmodisch empfunden wird. Die Denotate werden heute meist durch andere Wörter bezeichnet. So wurde der Archaismus Ratschlagung durch das Wort Ratschlag ersetzt oder Advokat durch Rechtsanwalt. Historismus ist ein Wort, das etwas bezeichnet, was in der heutigen Welt nicht mehr existiert, die Denotate sind heute historisch. Im Vergleich zu Archaismen sind Historimsen nicht veraltet, sondern immer noch in Textet lebendig, allerdings nur in historischen Texten. Beispiele von Historismem sind: Landgraf, Minnesang, Kurfürst u.a. 1.2 Herkunft der Wörter Die sprachliche Entlehnung ist neben Wortbildung und Bedeutungswandel eines der Hauptverfahren der Wortschatzerweiterung. Von einer Entlehnung, einem Lehnwort im engeren Sinn spricht man dann, wenn das übernommene Wort in seiner Flexion, Lautung und Schreibung an den Sprachgebrauch der Nehmersprache angepasst wird. Zu den Lehnwörtern im weiteren Sinn zählen auch die Fremdwörter, bei denen eine solche Anpassung nicht oder in geringerem Maße erfolgt und die fremde Herkunft des Wortes vergleichsweise deutlicher kenntlich bleibt. Solche Wörter gehören zu dem äußeren Lehngut. Bei einem Lehnwort – diese Kategorie wird zum inneren Lehngut gezählt - wird entweder die ganze Bedeutung des Wortes oder ein Teil dieser Bedeutung übernommen. Man spricht hierbei von lexikalischer Entlehnung und das Ergebnis wird mit dem allgemeinen Begriff Lehnprägung bezeichnet. Bei einer Lehnbedeutung wird die Bedeutung eines fremden Wortes übernommen und auf ein einheimisches Wort übertragen. Das deutsche Verb schneiden erhielt von der englischen Redewendung to cut a person die Zusatzbedeutung jemanden absichtlich nicht kennen. Als Lehnbildung bezeichnet man die Bildung eines neuen Wortes im Rückgriff auf vorhandene Wörter oder Wortstämme der Nehmersprache. Der Unterschied zur Lehnbedeutung besteht darin, dass bei der Lehnbildung ein neues Wort oder eine neue Wortzusammensetzung entsteht. Man unterscheidet folgende Arten der Lehnbildung: - die Lehnübersetzung, bei der ein meist zusammengesetztes fremdes Wort Glied für Glied übersetzt wird: Beispiele sind Großvater von französisch grand-père, oder Flutlicht von englisch flood light. - die Lehnübertragung, bei der die fremden Bestandteile nur teilweise oder mit einer Bedeutungsveränderung übersetzt werden, z.B. Wolkenkratzer als im Bestandteil "Wolken-" metonymisch verschobene Übertragung von englisch skyscraper (wörtlich "Himmelskratzer"), oder Fernsprecher für Telephon (Fern-Klang). - die Lehnschöpfung, bei der ein Wort ohne Rücksicht auf besondere Bedeutungsnuancen des fremden Wortes relativ frei neu gebildet wird, in der Regel zur Ersetzung eines bereits existierenden Fremdwortes, z.B. Hochschule für Universität, Kraftwagen für Automobil, Umwelt für Milieu. - Einen Sonderfall bildet die Scheinentlehnung, bei der ein Wort oder Fremdwort aus Bestandteilen der Gebersprache neu gebildet wird, das in dieser Gebersprache selbst so nicht existiert oder eine andere Bedeutung hat, z.B. Friseur (frz. coiffeur), Handy (engl. mobile phone), Smoking (engl. dinner jacket). Sofern dabei auf in der Nehmersprache bereits vorhandene Fremdwörter zurückgegriffen wird, kann man Scheinentlehnungen auch als Lehnprägungen (Lehnschöpfungen) einstufen. ZUM SELBSTSTUDIUM Lesen Sie den vorliegenden Textausschnitt (Quelle: Burkhardt, Armin: Die "AnglizismenFrage" aus der Sicht der GfdS. In: Sprachreport: Informationen und Meinungen zur deutschen Sprache. 2013, S. 38-42.) Kategorisieren Sie die zwölf im Text erwähnten Entlehnungsmotive und veranschaulichen Sie ihre Ergebnisse in Form einer Mind-Map. 1.3 Soziale und territoriale Schichtung Innerhalb einer größeren Sprachgemeinschaft kommen nebeneinander unterschiedliche Existenzformen, die wir Varietäten nennen. Die deutsche Sprache ist variantenreich und die Wahl der jeweils gewählten Varietät hängt vom Sprechanlass ab. Man unterscheidet folgende Erscheinungsformen des Deutschen: 1. Die Standardverietät, die auch Schriftsprache, Literatursprache oder Hochsprache bezeichnet wird, ist im ganzen deutschen Sprachgebiet gültig und verständlich. Die Schriftsprache erfüllt die kommunikative Funktion für das ganze Volk, ist eine Existenzform der nationalen Kultur, ist die in ganz Deutschland angenommene normalisierte schriftliche und mündliche Form der deutschen Nationalsprache.. 2. Umgangssprache gilt als die zweitwichtigste Erscheinungsform, die als Landschaftssprache, Stadtsprache, Verkehrs- und Alltagssprache bezeichnet wird. Räumlich ist sie gekennzeichnet durch einen regional begrenzten Geltungsbereich, funktional ist sie in erster Linie ein Kommunikationsmittel des mündlichen Verkehrs, und zwar vor allem persönlichen Gesprächs, nicht in offiziellen Situationen. 3. Mundart wird als Ortssprache, Volkssprache, Alltags- und Haussprache charakterisiert. Für sozial-berufliche Charakteristik des Wortbestandes werden verschiedene Bezeichnungen gebraucht: Sondersprachen, Berufssprachen, Soziolekte. So existieren z.B Jägersprache, Buchdruckssprache, Bergmannssprache, Kaufmannssprache, Soldatensprache, Gaunersprache, Männer- und Frauensprache, Studentensprache, Jugendsprache usw. Dieser Wortschatz entwickelt sich in verschiedenen Gruppen aufgrund des gemeinsamen Berufes, gemeinsamer Lebensbedingungen. Dabei handelt es sich nicht um selbständige Erscheinungsformen der Sprache, sondern um den eigentümlichen Wortschatz. In der Germanistik wurde Sonderlexik traditionsgemäß in drei Gruppen eingeteilt: - Standessprachen (Jargons): Als Beispiel gilt Gaunersprache (sogenannte Argotsprache), wo z.B. Gefängnis als Kasten, Käfig, Schule genannt wird, Geld – Heu, bezahlen – blechen, Krimineller – schwerer Junge, hungrig sein – Kohldampf schieben. - Berufssprachen (Berufswortschatz): z. B. die Sprache der Rechtsanwälter, Ärzte, Lehrer usw. - Fachsprachen: Eine Fachsprache zeichnet sich durch eine Sprechergruppe aus, die über gemeinsames Fachwissen verfügt. Fachsrpachen haben oft einen spezifischen Fachwortschatz, der die genaue Bezeichnung von Gegenständen oder Vorgängen ermöglicht. ZUM SELBSTSTUDIUM Ordnen Sie die Ausdrücke den Kategorien richtig ein: - Termini (Fachwörter) - Halbtermini (Professionalismen) - Fachjargonismen - Gruppenspezifische Lexik Klavier spielen (Fingerabdrücke abnehmen), Bottlerei, Plattbank (Hobel), Schrubhubel (Hobel), Elektron, Äthyl, Phonem, Runks (Hobel), Bulle (Hobel), Hexe (Materialaufzug), Totenorgel, Melioration, Umlaut, Mehrwert, Mischkristallbildung, Kohlenstaubzusatzfeuerung, Abbau, Fundgrube, Nase (des Hobels), Psychologe, Druckfehler, Laufbahn, Axt, Beil, Fuchschwanz, Kiellinie, Bremser, Bremsschuh, Tippmamsel, Gulaschkanone, Fuchs, Käfig, Heu, Schule, Dietrich, Bruder, Studio, Regenwurm, Minipanzer, Torte, Tussi, Schnecke, Käthe, Dreitonner, Kettenreaktion. ZUSAMMENFASSUNG Die Sprache ist eine komplexe Erscheinung. Jede Sprache weist nicht nur regionale Unterschiede auf, sie ist auch in sozialer und funktionaler Hinsicht durch verschiedenartigste Varietäten gekennzeichnet. So klingt die deutsche Sprache sehr oft verschieden in vielen Gegenden , verschiedenen Bundesländern. Sie weist unterschiedliche Züge auf, je nachdem, ob sie im amtlichen oder privaten Verkehr, im Alltag oder bei feierlichen Anlässen, im Forschungslabor oder auf der Speilplatz gesprochen wird. So bilden sich ihre besonderen Erscheinungsformen.