BEDEUTUNGSWANDEL EINLEITEND Sprache ist kein starres Gebilde, sondern verändert sich stetig. Besonders gut lässt sich das im Bereich des Wortschatzes beobachten. Sprachwandel kann sich dadurch äußern, dass Wörter aus dem Sprachgebrauch verschwinden, andere kommen hinzu, andere Wörter verschwinden nicht aus dem Wortschatz, sondern ändern ihre Bedeutung (und oft auch ihre Form). ZIELE Das Ziel des Kapitels ist die Prinzipien, Ursachen, Arten und Ergebnisse des Bedeutungswandels zu beschreiben und an konkreten Beispieln aus dem deutschen Wortschatz zu erklären. SCHLÜSSELWÖRTER Bedeutungswandel, Ausdrucksverstärkung, Euphemismus, Bedeutungsübertragung, Bedeutungserweiterung, Bedeutungsverengung, Fachausdruck, Hyperbel, Litotes, Metapher, Metonymie, Kein anderer Bereich des Sprachsystems reagiert so schnell auf Veränderungen in der Gesellschaft und auf die Ergebnisse ihrer Entwicklung wie der Wortschatz. Dies betrifft vor allem Autosemantika, d.h. Ausdrücke für neue Sachverhalte, die benannt werden müssen. Sysnsemantika wie pronomen, Konjunktionen u.a. werden von diesen Entwicklungen kaum berührt. Zu beobachten ist in allen Fällen, wo neue Lexeme aufkommen und die nicht mehr aktuellen veralten, dass das lexikalische System durch eine Zusammenwirkung von Stabilität und Variabilität funktionsfähig bleibt. (vgl. Heusinger 2004, 173) Unter Bedeutungswandel versteht man die Veränderung der Bedeutung schon existierender Wörter. Der Bedeutungwandel gehört zu einem der Hauptwege der Bereicherung des Wortschatzes der Sprache. Die Bedeutung des Wortes läßt sich nicht als etwas Konstantes, Beständiges, als etwas für alle Zeiten Stabiles betrachten. Die Bedeutung des Wortes kann sich ändern. Das geschieht oft gleichzeitig mit der Veränderung der Denotate (Gegenstände und Erscheinungen). 1.1 Ursachen des Bedeutungswandels Die meisten deutschen Wörter haben mehrere Bedeutungen und sehr oft entstehen neue Bedeutungen eines Wortes durch den Bedeutungswandel, der durch viele Ursachen bedingt ist. Was diese Ursachen anbetrifft, spricht man von linguistischen und extralinguistischien (historischen, sozialen und sogar psychischen) Gründen. Zu den wichtigsten Gründen kann die Sprachökonomie gezählt werden. Die Zahl der Denotate (Gegenstände und Erscheinungen der Wirklichkeit) ist unendlich, die Zahl der Wörter ist dagegen begrenzt, deshalb erhalten die Wörter neue Bedeutungen. Die extralinguistischen Ursachen können verschiedener Natur sein. Am häufigsten ist es historisch-kultureller Wandel im Leben der Menschen, der zur Entwickling neuer Begriffe führt. Die Veränderung von Denotaten (Gegenständen) kann auch zum Bedeutungswandel führen. Viele Wörter werden zunächst nur von einer engeren sozialen oder beruflichen Gruppe als sozialbeschränktes Wort oder Fachausdruck gebraucht. Später können diese Wörter in die allgemeine Sprache übergehen. Auch der Wunsch, den sprachlichen Eindruck zu verstärken oder zu mindern, kann eine Ursache des Bedeutungswandels sein (das Streben nach Ausdrucksverstärkung oder Affekt und das Streben nach Ausdrucksabschwächung oder Euphemismus). 1.2 Die Arten des Bedeutungswandels Bedeutungswandel lässt sich in mehrere Arten gliedern: 1.2.1 BEDEUTUNGSERWEITERUNG Die Bedeutung des Wortes erweitert sich, und das Wort selbst beginnt einen weiteren Begriff zu bezeichnen. Die Bedeutungserweiterung besteht also in der Verallgemeinerung der ursprünglichen Bedeutung. Die Entwicklung der Bedeutung führt zur Erweiterung des Gebrauchsgebietes des Wortes. Stube: ursprünglich „Heizvorrichtung für ein warmes Bad“, dann „ein mit dieser Vorrichtung versehenes Badezimmer“, später „ein heizbares Zimmer“ und endlich „ein Zimmer“ überhaupt Mütze: ursprünglich „Kleidungsstück eines Geistlichen, das Kopf und Schulter bedeckte“, heute – „Kopfbedeckung“. 1.2.2 BEDEUTUNGSVERENGUNG Die Verengung der Bedeutung entsteht als Ergebnis der semantischen Entwicklung eines Wortes vom Allgemeinen zum Einzelnen, vom Abstrakten zum Konkreten. Die Bedeutung des Wortes verengt sich, und das Wort beginnt infolgdessen einen engeren, einen Einzelbegriff auszudrücken. Die Verengung des Bedeutungsumfangs führt auch zur Begrenztheit des Gebrauchsgebiets des Wortes mit sich. Dach: ursprünglich allgemein „das Deckende“, heute nur „das Dach eines Hauses“ Lid: ursprünglich „Deckel“ überhaupt, heute nur „Augendeckel“ Brief: ursprünglich „kurzes offizielles Schriftstück“, „Urkunde“, heute „eine schriftliche Mitteilung auf Entfernung, die gewöhnlich per Post gesandt wird“. 1.2.3 METAPHORISCHE ÜBERTRAGUNG DER NAMENSBEZEICHNUNG Die metaphorische Bezeichnungsübertragung beruht auf dem Prinzip der Ähnlichkeit (sowohl äußeren als auch inneren) zwischen zwei Denotaten. Es gibt verschiedene Abarten der Ähnlichkeit, die die metaphorische Übertragung hervorrufen können: - Ähnlichkeit der Form: Nadelkopf, Landzunge, Flaschenhals, Stuhlbein, Augapfel; - Ähnlichkeit der Charakterzüge oder des Äußeren: ein schöner Mann – Apollo, eine schöne Frau – Venus, ein eifersüchtiger Mensch – Othello - Ähnlichkeit eines inneren Merkmals, einer Eigenschaft: bittere Worte, süßer Ton, trockene Worte, harte Stimme - Übertragung vom Tier auf den Menschen: Fuchs „listiger Mensch“, Esel „dummer Mensch“, Schwein „schmutziger Kerl“ - Personifizierung = die Übertragung der Eigenschaften eines Lebewesens auf Gegenstände oder Erscheinungen: der Wind erhebt sich, die Augen sprechen, die Jahre gehen, das Leben geht weiter - Ähnlichkeit der Funktion: Fuß eines Berges, eines Gefäßes - Namensübertragung von Sachen auf Menschen: Leuchte „berühmter Fachmann, kluger Kopf“, Kratzbürste „widerborstige Frau“, Klotz „unbeholfener Mensch“ - Übertragungen aus dem Konkreten in das Abstrakte: Spur, ursprünglich „der Eindruck, der die Fußtritte eines Tieres, eines Menschen auf dem Erdboden hinterlassen“, später bezeichnet das Wort auch „die Abdrücke von Wagenrädern“, infolge der metaphorischen Übertragung bekommt das Wort Spur auch einen abstrakten Sinn; - Ähnlichkeit der Farbe: die Grünen „Angehörige einer Partei, die für Umweltschutz auftritt“ 1.2.4 METONYMISCHE ÜBERTRAGUNG DER NAMENSBEZEICHNUNG Unter Metonymie wird die Übertragung der Namensbezeichung von einem Gegenstand auf einen anderen auf Grund eines logischen Verhältnisses zwischen diesen Gegenständen verstanden. Im Gegensatz zu der Metapher liegt hier keine Ähnlichkeit oder kein latenter Vergleich zugrunde. Das Wort Metonymie bezeichnet eigentlich „die Umbenennung“. - Die Namensübertragung auf Grund der Beziehung zwischen dem Ganzen und dessen Teil – Synekdoche: er ist ein kluger Kopf statt kluger Mensch (der Teil für das Ganze), die ganze Welt klatschte Beifall (wird gemeint eine Gruppe von Menschen, in diesem Fall umgekehrt das Ganze vertritt den Teil); - Namensübertragung vom Raum auf die sich dort befindlichen Menschen: Stadt anstatt Einwohner, Haus anstatt Bewohner, die ganze Schule anstatt Schüler, das Auditorium anstatt Zuhörer; - Namensübertragung vom Behälter auf das, was sich darin befindet: Glas statt Bier, Flasche statt Wein, Tasse statt Tee, Kaffee; - Übertragung von der Benennung des Ortes auf das, was dort hergestellt wird: Havanna, Mokka, Champagner, Eau de Kologne; - Übertragung vom Namen des Schöpfers auf sein Werk: Ohm, Guillotine, Röntgenstrahlen, Kochstäbchen, Herz, Mackintosch; - Namensübertragung von dem Stoff auf den Gegenstand der daraus hergestellt wird: Glas – ein Gefäß, nach dem Material benannt; - Übertragung der Namensbezeichnung von der Handlung auf das Resultat: sammeln – Sammlung, zeichnen – Zeichnung, senden – Sendung; - Zeitliche Bedeutungsbeziehungen: Mittag „Essen, Mittagessen“, früher „Zeitpunkt, Tagesmitte“; - Namensübertragung von einem Körperteil auf ein Kleidungsstück: Kragen bedeutete ursprünglich „Hals“; - Übertragung von einem Kleidungsstück auf einen Körperteil: Schoß bezeichnet eigentich den „unteren Teil der Kleidung“, metonymisch auch „Knie“. 1.2.5 EUPHEMISMUS Die Euphemismen sind verhüllende oder verschönernde Ausdrücke. Sie werden aus zweierlei Gründen gebraucht: aus Gründen des Aberglaubens oder des Anstandes. Der letzte Grund ist heute ausschlaggebend: man will unanständige oder unangenehme Wörter und Ausdrücke vermeiden und sie durch schönere oder verhüllende ersetzen. Man unterscheidet: - religiöse Euphemismen: der Allerwissende, der Allmächtige, Er, himmlicher Richter (anstatt des Wortes Gott), Böse, Schwarze, böser Feind, Deibel (statt des Wortes Teufel); - sozial-moralische: dichten, phantasieren (lügen); sich benebeln, zu tief ins Glas sehen (betrunken sein), Freudenmädchen (Prostituierte); klemmen, klauen, mausen, lange Finger haben (stehlen), aus dem Wege schaffen, umlegen, kalt machen (jemanden töten); - politische Euphemismen: Annexion statt Länderraub; - gesellschaftlich-ästhetische Euphemismen: Appertement, Kabinett, ein gewisser Ort, Befreiungsstelle, Toilette für Abort; in der Hoffung sein, in anderen Umständen sein für schwanger sein, die Augen für ewig schließen für sterben. 1.2.6 HYPERBEL Für die Hyperbel ist die übertriebene Darstellung verschiedener Merkmale und Eigenschaften der Gegenstände und Vorgänge kennzeichnend: irgendwas tausendmal sagen statt vielmals; jemanden eine Ewigkeit nicht sehen statt jemanden lange nicht sehen, eine Welt von Gedanken, tausend Dank, vor Langeweile sterben. Die Hyperbel dient nicht nur den Zwecken des Emotionsdrucks, sondern auch der Bereicherung des Wortschatzes. Es entstehen sinnwervandte Wörter und Wortverbindungen: vielmals und vieltausendmal, sehr hungrig und wolfshungrig, jemanden lange nicht sehen und jemanden eine Ewigkeit nicht sehen. 1.2.7 LITOTES Unter Litotes versteht man die im Vergleich zu der Wirklichkeit übertriebene Abschwächung der Aussage: zu einer Tasse Tee einladen, zu einem Löffel Suppe einladen; im Augenblick kommen. KONTROLLAUFGABE Aufgabe 1: Geht es bei den folgenden Ausdrücken um metaphorische Übertragung oder metonymische Übertragung? Hund (gemeiner Kerl), Berggrat, Feder, harte Stimme, im Felde sein (im Krieg sein), Goldgrube, Langohr, Nadelkopf, Flügel (Musikinstrument), Schlange, Othello, Stuhlbein, Apollo, Spur, Sammlung, Schwein (schmutziger Kerl), Goliath, kluger Kopf, vier Wände, süßer Ton, Zahn eines Rades, das ganze Auditorium hörte zu, Mokka (Kaffeesorte), Guillotine, Havanna, Ohm, Glas (Gefäß), Zeichnung, Schlaukopf, Champagner, Dummkopf, helle Stimme, dunkle Töne, die ganze Schule, die ganze Stadt. Aufgabe 2: Bestimmen Sie die Art der Metaphern und Metonymien in der Aufgabe 1. LÖSUNG Aufgabe 1: metaphorische Übertragung: Hund (gemeiner Kerl), harte Stimme, Langohr, Brille, Nadelkopf, Flügel (Musikinstrument), Schlange, Sammlung, Othello, Stuhlbein, Apollo, Spur, Schwein (schmutziger Kerl), Goliath, kluger Kopf, süßer Ton, Zahn eines Rades, Schlaukopf, Dummkopf, helle Stimme, dunkle Töne. metonymische Übertragung: Berggrat, Feder, im Felde sein (im Krieg sein), Goldgrube, Sammlung, vier Wände, das ganze Auditorium hörte zu, Mokka (Kaffeesorte), Guillotine, Havanna, Ohm, Glas (Gefäß), Zeichnung, Champagner, die ganze Schule, die ganze Stadt. Aufgabe 2: Für Lösung siehe Kap. 5.2.3 und 5.2.4 ZUSAMMENFASSUNG Im Laufe der Zeit ändert sich nicht nur die äußere Form der Wörter (Lautwandel), sondern auch deren Bedeutung. Diesen Prozess nennt man Bedeutungswandel. Der Bedeutungswandel hat seine Ursachen und Arten, die in dem Kapitel näher erklärt wurden und mit konkreten Beispielen versehen wurden.